Uniko-Chefin Sabine Seidler sieht die Unis unter Druck, die Absolventenquoten zu erhöhen.
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Sabine Seidler ist seit knapp einem Jahr Präsidentin der österreichischen Universitätenkonferenz (Uniko). Ihr ambitioniertes Budgetziel für die Unis konnte sie beim Finanzminister zwar nicht durchsetzen, doch immerhin steigen die jährlichen Mittel für die Periode 2022–2024 deutlich über der Inflation: von elf auf 12,3 Milliarden Euro.

STANDARD: Das Unibudget steigt um knapp 1,3 Milliarden Euro. Die Uniko hat im Vorfeld allerdings 2,1 Milliarden an Mehrbedarf berechnet – in Ihrer Aufstellung machen allein Teuerungseffekte und Gebäudeinvestitionen 1,3 Milliarden aus. Müssen Sie also bei den Posten Digitalisierung und Verbesserung der Betreuungsrelationen sparen?

Seidler: Im Grunde genommen ja, natürlich. Die Frage ist nur, wo man Abstriche macht und welche Projekte man nach hinten schiebt. Wie sich das gesamte Budget auf die drei Säulen – Lehre, Forschung und strategische Entwicklung – verteilen wird, das wissen wir aber momentan noch nicht.

STANDARD: Warum konnten Sie sich mit Ihrer Forderung beim Finanzminister nur etwa zur Hälfte durchsetzen?

Seidler: Das liegt sicher an der allgemeinen Covid-Krise, die alles dominiert. In dieser Situation war für die Unis nicht mehr drin, wir haben immerhin eine nominelle Steigerung von vier Prozent pro Jahr erzielt, und damit bin ich durchaus zufrieden.

STANDARD: Welche Schwerpunkte wollen Sie mit diesem Budget setzen?

Seidler: Wir bauen ja derzeit wissenschaftliches Personal auf, in diesem Bereich sollten wir auf jeden Fall den Status quo bei den Plänen erhalten und das Erreichte absichern. Ich glaube persönlich auch nicht, dass wir das Thema Digitalisierung wegfallen lassen können. Innovationen im digitalen Bereich kosten natürlich etwas, es ist nicht damit getan, Powerpoint-Folien ins Internet stellen zu können.

STANDARD: Zeichnet sich ab, welche Unis oder Fakultäten besonders vom Budget profitieren werden?

Seidler: Die Leistungsvereinbarungen werden erst nächsten Herbst verhandelt. Aber die Mint-Fächer werden sicher eine große Rolle spielen, und bei der medizinischen Forschung wird wohl einiges in die Initiative "Uni-Med-Impuls 2030" fließen.

STANDARD: Im Budgetbericht des Finanzministers steht, dass von den 1,3 Milliarden auch ein Teil als "Planungskosten und Entwicklungsmaßnahmen für die neu zu schaffende TU Linz" reserviert ist. Bisher hieß es doch seitens der Regierung immer, das Geld für die TU Linz käme zum Budget noch obendrauf.

Seidler: Letzteres ist auch meine Information. Uns ist immer kommuniziert worden, dass die TU Linz in dem Topf nicht drin ist. Ich vermute, mit der zitierten Formulierung sind nur die Kosten für die Arbeitsgruppen gemeint, die für die Entwicklung des Projekts eingesetzt werden sollen. Aber man sollte das auf jeden Fall hinterfragen, das wäre ja Ihr Job.

STANDARD: Sie waren bei der Ankündigung der neuen TU nicht eingebunden. Wieso wurde die Uniko derart links liegen gelassen?

Seidler: Das müssen Sie den Herrn Bundeskanzler fragen. Es war überhaupt niemand eingebunden! Ich stehe dem Projekt nach wie vor skeptisch gegenüber, aber es macht auch keinen Sinn, sich nur daneben zu stellen und zu meckern. Es ist sinnvoller, selbst mitzugestalten, um das Beste daraus zu machen. Ich werde an einer Arbeitsgruppe zur strategischen Ausrichtung teilnehmen. Für mich ist aber noch völlig offen, ob dieser neue Standort wirklich so viele Synergien nutzen kann wie von der Politik angekündigt.

STANDARD: Anfang des Jahres hieß es, im Herbst werde ein neues Studienrecht verhandelt. Sie haben damals gefordert, dass Studierenden die zeitgleiche Inskription in mehrere Studien erschwert werden soll. Wird es nun dazu Maßnahmen geben?

Seidler: Ich kenne den aktuellen Stand nicht. Es war jedenfalls angekündigt, dass die Novelle des Universitätsgesetzes im Herbst in Begutachtung geht, es müsste also in den nächsten Wochen etwas kommen. Der Vorschlag zu den Mehrfachinskriptionen beruht auf meiner persönlichen Einschätzung, das ist nicht die Position der Uniko als Ganzes.

STANDARD: Warum wollen Sie Studierenden die Chance nehmen, mehrere Studien zu betreiben? Manche interessieren sich eben für Verschiedenes, und einige davon schließen auch mehrfach ab.

Seidler: Wenn mehrere Studien abgeschlossen werden, ist das ja in Ordnung. Die Realität sieht aber meist anders aus. Irgendwann muss man sich als junger Mensch einmal für einen Beruf entscheiden. Es geht auf Dauer nicht, dass man nur studiert um des Studierens willen. Es spricht doch nichts dagegen, nur ein Studium zu inskribieren und Lehrveranstaltungen aus anderen Fächern mitzubelegen.

Die Uniko-Präsidentin sieht die Studierenden in der Pflicht gegenüber der Gesellschaft, rasch zu einem Abschuss zu kommen
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STANDARD: Sie würden trotzdem die Wahlfreiheit jener einschränken, die mehrere Studien machen wollen. Das widerspricht doch dem Mantra der Interdisziplinarität, das so gerne verkündet wird. Und es hat wohl auch sonst einen Wert, wenn sich jemand in mehreren Fächern auskennt.

Seidler: Ich bin nicht dagegen, dass man sich in mehreren Fächern bildet. Aber in Österreich haben Sie das Privileg, nahezu kostenfrei ein hochwertiges Studienangebot zu genießen. Daraus erwächst aufseiten der Studierenden die Verpflichtung, irgendwann einmal zu einem Abschluss zu kommen. Es ist eine Tatsache, dass Uni-Absolventen hierzulande im Schnitt älter sind als in vielen anderen Ländern, das bringt ihnen natürlich auch Wettbewerbsnachteile im Berufsleben.

STANDARD: Das ist doch dann deren Problem.

Seidler: Nein, es ist auch das Problem des Steuerzahlers und der Unis, die das Studium zur Verfügung stellen. Es gibt Leute, die kaum Prüfungen machen, und für die muss die Uni auch Ressourcen für 30 ECTS-Punkte im Semester vorhalten.

STANDARD: Na ja, eine Karteileiche in Orientalistik kostet die Uni fast keine Ressourcen. Das Lehrangebot bemisst sich doch an den Erfahrungswerten beim Andrang, nicht an den nackten Inskribiertenzahlen.

Seidler: Hörsaalkapazitäten schon. Man muss auch die systemischen Bedingungen sehen. Wir Universitäten stehen unter dem gesellschaftlichen Druck, dass möglichst viele Studierende innerhalb der Toleranzdauer abschließen. Österreichische Unis erreichen in internationalen Rankings keine Spitzenplätze – gerade von Ihrer Berufssparte werden wir deshalb regelmäßig geprügelt. Auch weil wir so schlechte statistische Betreuungsverhältnisse haben, was nicht zuletzt daran liegt, dass viele Studierende zu lange im System bleiben.

STANDARD: Sie argumentieren stark aus der Perspektive des Arbeitsmarktes und ökonomischer Zwänge. Wäre es nicht Ihre Aufgabe als Uni-Vertreterin, sich im Kontrast dazu für ein anderes Konzept von Bildung starkzumachen, den Selbstzweck von Wissen etwa?

Seidler: In einer schönen heilen Welt können wir alle davon träumen, beliebig viele Fächer zeitlich unbegrenzt ohne Leistungsnachweis auf Kosten der Allgemeinheit zu belegen. Aber im Ernst: Aus meiner Sicht ist es die gesellschaftliche Verantwortung der Unis, ein hervorragendes Bildungsangebot bereitzustellen – das geht natürlich auch mit Verpflichtungen jener einher, die das Angebot wahrnehmen.

STANDARD: Das Wintersemester unter Corona-Bedingungen ist jetzt drei Wochen alt. Wie ist Ihr erstes Resümee?

Seidler: Es funktioniert erstaunlich gut, die Studierenden sind äußerst diszipliniert. Ich habe von keiner Uni gehört, die gröbere Probleme hätte.

STANDARD: Sie sind als Uniko-Präsidentin bis Dezember 2021 gewählt. Was sind Ihre wichtigsten Ziele bis dahin?

Seidler: Überleben ist alles (lacht). Schon jetzt ist es trotz Corona gelungen, die finanziellen Mittel für die Leistungsvereinbarungsperiode 2022–2024 abzusichern. Zudem bringen wir uns in die öffentliche Debatte ein: Gerade haben wir nachdrücklich an die Regierung appelliert, Flüchtlinge aus dem Lager Moria aufzunehmen. Ein wichtiges Uniko-Projekt wird im kommenden Jahr die Erarbeitung eines Strategiepapiers sein, das eine Vision für die Uni der Zukunft entwirft. Es wird angesichts des Wandels in der Arbeitswelt künftig ganz andere Formen der Bildung brauchen: Vernetztes Denken und neue Formen der Interdisziplinarität werden gefragt sein. Wir brauchen einerseits Menschen mit analytischen Fähigkeiten zur Beherrschung der technischen Welt, aber daneben auch Kompetenzen außerhalb dieser Sphäre, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln. (INTERVIEW: Theo Anders, 22.10.2020)