Eine „schneidige“ Rede und viel brauner „Humor”

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„Geschmack­los“ zähl­te wohl zu den häu­figs­ten Wör­tern, die im gest­ri­gen Pro­zess eines ehe­ma­li­gen Wie­ner RFS-Funk­tio­närs und Bur­schen­schaf­ters fie­len. Der war mit einer Ankla­ge nach dem Ver­bots­ge­setz (§ 3g) kon­fron­tiert. Der Aus­lö­ser: eine durch das DÖW ange­zeig­te Rede, die der Ange­klag­te im Zuge eines „Cou­leur­bum­mels“ an einem 8. Mai an der Ram­pe der Wie­ner Uni zum Bes­ten gege­ben hat­te. Doch da kam noch viel mehr nach. Ein Prozessbericht.

Es war kalt im Schwur­ge­richts­saal der Wie­ner Lan­des­ge­richts, die Fens­ter waren vor Pro­zess­be­ginn pan­de­mie­be­dingt geöff­net, eini­ge Geschwo­re­ne muss­ten sich Jacken holen, bevor es los­ge­hen konn­te. Ob es dem Ange­klag­ten kalt oder heiß oder bei­des war, wis­sen wir nicht, ange­nehm war es für ihn mit Sicher­heit nicht.

Der stu­dier­te Jurist, der sich peni­blen Befra­gun­gen unter­zie­hen muss­te, war bis­lang unbe­schol­ten, aber durch sei­ne vor­he­ri­gen poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten in Deutsch­land und dann in Öster­reich nicht ganz unbe­kannt: Mit­glied einer Wie­ner Bur­schen­schaft, die das DÖW als rechts­extrem lis­tet, Mit­glied im Vor­stand der Gesell­schaft für freie Publi­zis­tik, die vom deut­schen Ver­fas­sungs­schutz als „größ­te rechts­extre­me Kul­tur­ver­ei­ni­gung“ bezeich­net wur­de, Mit­glied und Funk­tio­när einer loka­len deut­schen rechts­extre­men Par­tei und schließ­lich auch hoher Funk­tio­när im RFS Wien.

Im Mit­tel­punkt des ers­ten Pro­zes­s­tei­les stand eine pathos­ge­la­de­ne öffent­li­che Rede, die am 8. Mai 2019 vom Pres­se­ser­vice Wien doku­men­tiert wor­den war und zu einer Anzei­ge durch das DÖW geführt hat­te. Dort, am Ende des „Cou­leur­bum­mels“, der von der Staats­oper zur Uni Wien führ­te, betrau­er­te der Bur­schen­schaf­ter die „Opfer“ aus der Wehr­macht, rezi­tier­te Auf­zeich­nun­gen des bel­gi­schen „Zeit­zeu­gen“ und SS-Offi­zier Léon Degrel­le und Pas­sa­gen aus dem letz­ten Wehr­machts­be­richt vom 9. Mai 1945. Dem gegen­über stell­te er mit Blick auf das „Fest der Freu­de“ am Hel­den­platz jene, die den 8. Mai als Tag der Befrei­ung bege­hen: „Und dann gibt es eine klei­ne aggres­si­ve hass­erfüll­te Min­der­heit die Freu­den­fes­te fei­ert und auf den Grä­bern unse­rer Gefal­le­nen tanzt.“ 

Vor Gericht recht­fer­tig­te der Beschul­dig­te die Aus­wahl der Des­grel­le-Zita­te damit, dass sie Zeug­nis für die Idee eines ver­ein­ten Euro­pa sei­en – eine Argu­men­ta­ti­on, die ver­mut­lich nicht nur die vor­sit­zen­de Rich­te­rin nicht nach­voll­zie­hen konn­te. Er habe eine „schnei­di­ge“ Rede hal­ten wol­len, wür­de es jetzt in die­ser Form aber nicht mehr tun, gab der Ange­klag­te an. Aus der Wie­ner Bur­schen­schaft sei er im Übri­gen nach der Haus­durch­su­chung aus­ge­tre­ten, um Scha­den von ihr abzuwenden.

Min­des­tens so schwer in der Ankla­ge wogen aber auch die Fun­de, die im Zuge der Raz­zia Anfang Dezem­ber 2019 sicher­ge­stellt wor­den waren: im Schlaf­zim­mer ein­schlä­gi­ge Bücher und Pro­pa­gan­da­ma­te­ria­li­en (etwa vom Ver­sand des deut­schen Neo­na­zi Tom­my Frenck „Druck18“) und Datei­en auf Han­dys und Lap­top. Ein Han­dy war dem Ange­klag­ten just am Lan­des­ge­richt Wien abge­nom­men wor­den, denn dort absol­vier­te der Jurist gera­de sein Gerichts­prak­ti­kum, das er danach unfrei­wil­lig been­den musste.

Mit den diver­sen Chat­nach­rich­ten hat­te sich der Beschul­dig­te ein­zeln aus­ein­an­der­zu­set­zen – was er in oft aus­ufern­den Erklä­rungs­ver­su­chen, die zwi­schen Schuld­ein­be­kennt­nis­sen und viel­fach, er habe es als Sati­re, als schwar­zen Humor, als amü­sant emp­fun­den, pen­del­ten: war­um er etwa in eine Chat­grup­pe mit deut­schen Ver­bin­dungs- und Stu­di­en­kol­le­gen „HKNKRZ“ gepos­tet hat­te, wei­te­re Nach­rich­ten mit NS-Codes wie 1488 und 420 oder ein Hit­ler­bild mit dem Text „Du bringst Hit­ze in mein Leben“ oder „Sieg Heil“, das er beim Bur­schen­tag in Eisen­ach in eine Grup­pe geschickt hat­te, nach­dem er sei­ne letz­te Prü­fung im Rah­men des Jus-Stu­di­ums bestan­den hat­te. Auf die Fra­ge eines Neben­rich­ters, war­um er nicht ein­fach „geschafft“ gepos­tet hat­te, fiel dem Ange­klag­ten kei­ne Ant­wort ein, zumin­dest kei­ne, die ihn ent­las­tet hät­te. Selbst der Ver­tei­di­ger nann­te die Nach­rich­ten „ein­deu­tig geschmack­los“, ein­ge­wen­det wur­de nur, dass man­che aus dem Aus­land gesen­det wor­den waren und damit straf­recht­lich nicht rele­vant seien.

Die im Pro­zess mehr­fach auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge, wo er denn jetzt poli­tisch ste­he, beant­wor­te­te der Ange­klag­te eben­falls nicht ein­deu­tig: Er sei „rechts­kon­ser­va­tiv“, die Gren­ze zu „rechts­ra­di­kal“ sei jedoch „flie­ßend“ räum­te er gleich­zei­tig ein. Er habe sich selbst nie als Nazi emp­fun­den, „aber viel­leicht habe ich mich belo­gen”. Er sei in einem Nach­denk­pro­zess und ver­su­che nun auch die Per­spek­ti­ve von ande­ren ein­zu­neh­men. An eine Läu­te­rung woll­te ein Neben­rich­ter ange­sichts der wir­ren Erklä­run­gen und Aus­flüch­te des Ange­klag­ten, der sich in eini­gen Punk­ten selbst schul­dig bekann­te, aller­dings nicht glau­ben: „Das ist Nazi­pro­pa­gan­da pur, was Sie ver­schickt haben!”

Dem­entspre­chend hef­tig fiel auch das Urteil aus: 24 Mona­te bedingt plus ein Monat unbe­dingt. Der Ver­tei­di­ger akzep­tier­te, die Staats­an­walt­schaft geht in Beru­fung. Damit ist das Urteil nicht rechtskräftig.

➡️ Bericht heute.at: Bur­schen­schaf­ter muss wegen Gedenk­re­de hin­ter Gitter