Portrait
Karlheinz Essl

Plädoyer für "Das Offene Kunstwerk"

Zur Frage: "Für und wider das Kunstwerk"
1995


Inhalt


Editoriale Vorbemerkung

Angeregt durch die Situation gegenwärtigen Komponierens mit ihren z.T. kompositionsästhetisch polaren Ergebnissen, eröffnen die Positionen eine Diskussion mit jungen Komponisten. Es soll darin um das für und wider des musikalischen Kunstwerks (im traditionellen Sinne) gehen und um dessen Zukunft oder Zukunftlosigkeit im Selbstverständnis dieser Komponisten. Denn es scheint, als ob der Spielraum kompositorischer Ideen und Wertvorstellungen zwischen musikalischem Gehalt und musikalischer Gestalt, zwischen Ausdruck und Ausdruckslosigkeit, zwischen Material und Technik in der Auseinandersetzung um die Werkgestalt einen neuen brisanten Konzentrationspunkt gefunden hat. Feiern wir die Restauration des Kunstwerks als musikalisches Ganzes, In-sich-Geschlossenes oder dessen Auflösung? Und was bedeutet diese Auflösung für die Musik, in was für Vorstellungs- und Empfindungswelten führt sie? Das ästhetische Denken gerade junger Komponisten darüber scheint uns deshalb besonders aufschlußreich, weil sie am Ende des 20. Jahrhunderts nicht nur in die inzwischen konstituierte Grenzsituation zwischen europäischer und amerikanischer Moderne hineingeboren sind und ihre Entscheidungen anders treffen müssen als Generationen vor ihnen. Sondern wir hoffen auch, daß sich - wie in allen jungen Generationen zu jeder Zeit - auch heute das unerwartet Neue, nicht Absehbare, also das musikalisch und ästhetisch Andere, Spannende hier erneut Bahn bricht.

Gisela Nauck (Mai 1995)


Zur historischen Dialektik von WERK & PROZESS

Die Frage für und wider das Kunstwerk ist nicht neu. Bereits in den 20er Jahren hatten die Surrealisten und Futuristen heftige Polemiken gegen das Kunstwerk geritten, die ihre Fortsetzungen in den 50er Jahren fanden, als John Cage die gerade im Wiederaufbau befindliche Neue Musik nachhaltig verstörte. Auf der einen Seite hatte man es mit "emphatischen" Kunstwerken zu tun, die in ihrer Komplexität naturhaft-chaotische Züge anzunehmen schienen - ich denke da an Stockhausens unübertroffenen Gruppen (1955-57) für drei Orchester. Auf der anderen Seite des Spektrums fanden sich Kompositionen wie Cage's gleichfalls unübertroffener Klavierzyklus Music of Changes (1951), der sich dem Zufall verdankt, welcher - nach orthodoxer Deutung - den Gegenpol zum Werkhaften-Gewollten darstellt.

An ihrer Oberfläche erscheinen beide Werke durchaus ähnlich: vielschichtig und bis zum Äußersten differenziert. Wer käme beim ersten Hören schon auf die Idee, daß das eine vollständig im Sinne der "integralen Reihentechnik" determiniert wurde, während das andere durch Befragung des altchinesischen Orakelbuches "I Ging" entstanden ist?

Bevor ich nun selbst Stellung beziehe, möchte ich versuchen, die Charakteristika eines Kunst-WERKES und seiner Antithese - dem PROZESS - herauszuarbeiten.


WERK

Ein Kunstwerk im emphatischen Sinne - ein "opus perfectum et absolutum" - ist unantastbar. Mächtig und monolithisch steht es da, unerschütterlich, von eindrucksvoller Größe und Gehabe. In seiner Geschlossenheit und Vollkommenheit ist es einem Gesetzestext (sowohl im juristischen als auch im religiösen Sinne) vergleichbar, wie zum Beispiel die Thora: diese ist zwar offen für vielfältige Interpretationen, darf aber selbst nicht verändert oder in Frage gestellt zu werden. Der Buchstabe ist heilig. Es wenig verwunderlich, daß es Anton Webern war, der den Gesetzescharakter der Musik thematisierte, als er 1941 über seine II. Kantate, op. 31, schrieb:

"Im Platon habe ich gelesen, daß 'Nomos' (Gesetz) auch die Bezeichnung für 'Weise' (Melodie) war".[1]


PROZESS

Als Gegenbegriff zum vielerorts verdächtig gewordenen Kunstwerk hat sich seit Cage der Begriff "Prozeß"[2] eingebürgert, der jedoch in seiner Mißverständlichkeit nicht unproblematisch ist. Während er in den Naturwissenschaften das Streben auf ein bestimmtes Ziel hin bedeutet (und im Sinne von "Entwicklung" ein teleologisches Moment besitzt), meint Cage aber das krasse Gegenteil: nicht zielorientiertes Vorwärtsschreiten, sondern absichtsloses Flanieren.

Die zeitliche Ausdehnung eines PROZESSES ist zumeist unbestimmt (im Unterschied zum exakt determinierten WERK). Seine formale Erscheinung ist vage und - "offen": das feste Beziehungsgefüge des WERKES wird zugunsten einer mehr oder weniger expliziten "Losigkeit" (Morton Feldman) fallengelassen. Während sich WERKE dank ihrer Geschlossenheit und textuellen Eindeutigkeit hervorragend reproduzieren lassen (was dem bürgerlichen Konzertbetrieb entgegenkommt), verweigern sich PROZESSE dieser Verdinglichung: sie erscheinen einmalig und jedes mal anders, neu.

Die Hauptmerkmale von WERK und PROZESS lassen sich folgendermaßen gegenüberstellen:


Werk Prozeß
geschaffen verursacht
gestaltet generiert
geschlossen offen
endlich unendlich
reproduzierbar irreproduzibel
ziel-orientiert weg-orientiert


Ich möchte nun die These aufstellen, daß es reine WERKE ebensowenig gibt wie reine PROZESSE. Was ich soeben beschrieben habe, sind Idealformen, die unter Laborbedingungen isolierbar sind, in der irdischen Realität jedoch nicht vorkommen können. Zwei Ursachen sind dafür verantwortlich zu machen: system-immanente und wahrnehmungs-psychologische. Im Folgenden möchte ich nun aufzeigen, daß einerseits Werke mit Prozessen konvergieren, und umgekehrt.


WERK > PROZESS

Gerade das hochgradig Organisierte (also das WERK par excellence) verliert seine Einmaligkeit und schlägt um ins indifferent Graue, wenn die Determination zu weit getrieben wird. Dies wurde bereits von Adorno an Weberns Spätwerk beobachtet, über das er sich folgendermaßen äußert:

"Die Fülle der ins Material zurückverschobenen Relationen (...) scheint auf Kosten der Fülle des eigentlichen Komponierens zu gehen. Harmonisierung und Polyphonie werden dem klanglichen Phänomen nach immer ärmer, auch die rhythmischen Gestalten kahler, unplastischer, monoton fast aus starren Notenwerten gefügt. Wer nicht wüßte, was an Kompositionsvorgängen und Modifikationen in diesen Stücken sich abspielt, schöpfte den Verdacht des Mechanischen." [3]

Einige Jahre später machte György Ligeti eine ähnliche Beobachtung, als er in seiner Kritik an der seriellen Musik den "Umschlag allzu fortgeschrittenen Differenzierung ins Indifferente" [4] konstatierte.

Hervorgerufen wird dieser Umkippeffekt durch ein lebensnotwendiges Regulativ unserer Wahrnehmung: bei struktureller Überorganisation kann die Fülle von Information nicht mehr kognitiv verarbeitet werden. Dies führt zu einem Umschlagen von Ordnung in Beliebigkeit und somit zu einem Zustand, den wir als Unordnung empfinden. Darin konvergiert das WERK mit dem PROZESS. Dieser Umstand wurde freilich von manch wachem Komponisten - lange vor Ligetis scharfsinniger Analyse - selbst erkannt. Er führte etwa bei Gottfried Michael Koenig zur Substituierung von seriellen Ordnungsmechanismen durch aleatorische Auswahlprinzipien - und damit zur Auflösung des Reihendenkens [5]. Durch die bewußte Anwendung von Zufallsoperationen konnte paradoxerweise gerade das gerettet werden, was die "integrale Reihentechnik" preisgegeben hatte: intendierter Ausdruck und die tatsächliche Verfügbarkeit über die kompositorischen Mittel.


PROZESS > WERK

Umgekehrt aber kann im Wahrnehmungsvorgang ein PROZESS Eigenschaften eines WERKES annehmen, da nämlich - wieder ein lebenswichtiges Kognitionsphänomen - Bezüge und damit Sinn selbst dort konstruiert werden, wo sie per se nicht vorhanden ist [6]. Das absolut Offene, Nicht-Intendierte gewinnt so Momente von Korrelation, die im ursprünglichen "Text" selbst nicht enthalten sind. Als eindrückliches Beispiel ist mir eine Aufführung von John Cage's Music for... (1984 ff.) in Erinnerung, die 1988 anläßlich eines Gesprächskonzertes im Wiener Konzerthaus stattgefunden hatte. Obwohl ich die Stimmen mit den Musiker einzeln einstudiert hatte, war ich doch bei der ersten Gesamtprobe erstaunt über die Vielfalt an musikalischen und gestischen Beziehungen, die sich quasi von selbst einstellten, und die ich aus der bloßen Kenntnis der Stimmen (die bekanntlich keiner gemeinsamen Organisation unterliegen) mir niemals hätte erträumen lassen. Ligeti bezeichnet dieses Phänomen als "malgré lui"-Zusammenhang und führt weiter dazu aus:

"Jede Art der mit allgemeiner Vorformung arbeiteten Methoden, welche Direktiven auch immer angewandt werden, produziert auf der Ebene der erklingenden Musik außer der Isolation der Einzelmomente auch Zusammenhänge, die von der jeweiligen Methode nicht intendiert waren, sich im Ergebnis gleichsam von selbst einstellen" [7].


WERK <-> PROZESS

Soweit nun zur historischen Situation. Seit den Diskussionen über den Werkbegriff in den 50er Jahren sind viele Jahrzehnte vergangen. Offene Formen und Aleatorik, mittlerweile zum etablierten Handwerkszeug der jungen Komponistengeneration gehörend, haben über Brian Eno und die "Ambient Music" gar Einzug in die Popularmusik gefunden. Die Verstörung, die sie einst ausgelöst hatten, ist den "weichen" PROZESSEN abhanden gekommen. Im Gegenteil: meist wirken sie besänftigend und beruhigend - Seelenfutter für die "New Age Generation"? Das Weihevolle, oftmals Attribut des WERK-haften, scheint sich nun auch der PROZESSE zu bemächtigen. Aber zeigt sich nicht wiederum in den "harten" WERKEN die Perpetuierung eines romantischen Künstlerideals, daß heute unter keinen Umständen mehr aufrecht zu halten ist? Drückt sich darin nicht ein Rückzug in den sicheren Elfenbeinturm aus? Eine Furcht vor dem Fremden und Unbekannten, die Angst vor dem Verlust der absoluten Kontrolle?


"Das Offene Kunstwerk"

Die Frage, ob nun dem WERK oder dem PROZESS der Vorrang gegeben werden soll, stellt sich für mich nicht. Wie ich bereits gezeigt habe, nähern sich die beiden Antipoden in mannigfacher Weise aneinander an. So kann es sich nur um eine ideologische Frage handeln, ob sich ein Komponist für oder gegen das Kunstwerk entscheidet.

Ich möchte deshalb für eine neue Sichtweise plädieren, die WERK und PROZESS nicht als Widersacher gegeneinander ausspielt, sondern die Polarität dieser beiden Wesensformen in sich vereint. WERK und PROZESS ließen sich demnach - ganz im Sinne des seriellen Denkens - als Extremwerte auffassen, zwischen den vielfältige Zwischenstufen und Übergangsformen denkbar sind.

So gibt es in meinem eigenen Schaffen neben Kompositionen, die als "offene Prozesse" konzipiert sind (wie zum Beispiel das Sprechstück In the Cage) auch "strenge Werke" (etwa das Streichquartett Helix 1.0). Dazwischen finden sich alle Arten von Übergängen und Hybriden: Werke mit Prozeßcharakter (wie Entsagung) und Prozesse mit Werkcharakter (Lexikon-Sonate). Der Grad von Werk- bzw. Prozeßhaftigkeit verschiebt sich von Komposition zu Komposition - oftmals auch innerhalb eines Stückes.

Damit möchte ich an den Begriff des "Offenen Kunstwerkes" anzuknüpfen, den Umberto Eco Anfang der 60er Jahre geprägt hatte. Offene Kunstwerke sind demnach:

  1. Kunstwerke in Bewegung - gekennzeichnet durch die Einladung, gemeinsam mit ihrem Hervorbringer das Werk zu machen;

  2. für ständige Neuanknüpfungen von inneren Beziehungen, die der Rezipierende im Akt der Perzeption (...) entdecken und auswählen soll;

  3. jedes Kunstwerk, auch wenn es nach einer ausdrücklichen oder unausdrücklichen Poetik der Notwendigkeit produziert wurde, wesensmäßig aber offen sind für eine virtuell unendliche Reihe möglicher Lesarten, deren jede das Werk gemäß einer persönlichen Perspektive, Geschmacksrichtung, Ausführung neu belebt. [8]

Auch wenn sich Eco's Konzept des "Offenen Kunstwerkes" in erster Linie auf geschlossene WERKE bezieht, die durch ihre Komplexität vielfältige Lesarten erlauben und so den Betrachter zum Mitschöpfer machen, möchte ich ihn auch auf offene PROZESSE ausdehnen; und zwar auf solche, die es dem Hörer aufgrund ihres inneren Reichtums ermöglichen, Sinnbezüge und Relationen zu "konstruieren", wodurch sie wiederum Züge von Werkhaftigkeit annehmen.

Ein solches "Offenes Kunstwerk" ließe sich als unbekannte Landschaft beschreiben, die den Rezipienten zu eigenen Erkundungsmärschen einlädt. Eine "terra incognita", durch das sich ein Netzwerk von Wegen zieht. Entlang dieser Pfade (und auch abseits davon) gibt es Mannigfaches zu entdecken. Und doch ist der Besucher nicht völlig auf sich gestellt: immer wieder findet er Orientierungsmarken und Wegweiser, Fluchtpunkte und Richtungspfeile. Das bereits Erlebte wird bestimmend für den weiteren Verlauf der Reise - die Fortführung eines Weges wird fallengelassen, weil sich vielleicht am Horizont eine Fata Morgana ankündigt, der nachgespürt werden will.

Anstelle von eindeutigen, linearen Lesarten wäre ein solches "offenes Kunstwerk" prinzipiell vieldeutig und seiner Struktur nach einem Hypertext vergleichbar. Weil darin verschiedene Vorgänge gleichzeitig ablaufen, die der Rezipient - wahrnehmend - aufeinander bezieht und interpretiert, ist er zu einem ständigen Springen zwischen den verschiedenen Sinnebenen ("Mille plateaux"[9]) herausgefordert. Ein Vorgang, der auch beim oftmaligen Hören immer anders ausfallen kann, wie bei einem Vexierbild, dessen Ebenen je nach Blickwinkel hin- und herspringen. Erst im aktiven Vorgang des Betrachtens entsteht so - in einem zeitlichen Abtastvorgang - eine persönliche, erlebte "Fassung" des Werkes.


Lexikon-Sonate

Als Beispiel dafür möchte ich meine Lexikon-Sonate (1992 ff.), eine unendliche, interaktive Realtime-Komposition für computer-gesteuertes Klavier, anführen. Dieses Stück existiert nicht als fixierter Notentext, der von einem Pianisten interpretiert werden kann, sondern manifestiert sich als Computerprogramm, das erst im Moment des Erklingens eine jeweils neue Variante des Stückes generiert und auf einem Player Piano spielt.


Esprit Joyce Gruppen Scala Fermata Ricochet Clouds MeloChord BrownChords Dependance Orgelpunkt SoloPlay Arpeggio Figuren Triller Glissando Generalpause RePlay User-Interface der Lexikon-Sonate

Benutzeroberfläche der Lexikon-Sonate
vs. 3.2 (11 Jan 2007)

Clickable Map: Mit einem Doppelklick auf eines der Kästchen (z.B. "Esprit")
erhält man weitere Informationen über dieses Strukturgenerator und außerdem noch ein Hörbeispiel.


Die Lexikon-Sonate ist nicht reproduzierbar. Sie erscheint ungerichtet und "offen" - als typischer PROZESS. Dennoch besitzt sie Eigenschaften eines WERKES. Es gibt charakteristische, wiedererkennbare, formbildende Momente, die durch 24 verschiedene Programmodule hervorgebracht werden. Jedes davon erzeugt eine charakteristische musikalische "Gestalt", in unendlichen Varianten. Die strukturelle Definition dieser "Gestalten" ist klar umrissen; dennoch werden sie an ihren Rändern unscharf und können sich dort in einen anderen Typus verwandeln.

Als Beispiel sei ein Akkordgenerator genannt, der unter gegebenen Umständen auch einstimmige Akkorde (was für eine herrliche Paradoxie!) spielen kann, wodurch der Akkord mit der Melodie konvergiert. Oder ein Trillergenerator, der das traditionelle Trillermodell (rasches Alternieren zweier benachbarter Skalentöne) erweitert, indem er bis zu 8 Töne rasch permutiert, wodurch sich (je nach Art dieser Töne) Konvergenzen mit Akkordzerlegungen bzw. -figurationen oder (je nach Trillertempo) mit Melodien einstellen.


screen shot

MAX-Programm eines Trillergenerators (1993-95)


Ein weiterer Aspekt in Hinblick auf Werkhaftigkeit besteht darin, daß die generierten Modellvarianten Allusionen an bereits existierende Musik hervorrufen können. Ohne daß irgendwelche Zitate eingesampelt wurden, erinnert sich die Musik gleichsam an Topoi aus dem Fundus der Klaviermusik von Johann Sebastian Bach über Beethoven, Schubert, Schönberg, Webern, Boulez, Stockhausen bis hin zu Cecil Taylor. Diese Topoi wurden strukturell analysiert und als Algorithmen implementiert, die - mit Hilfe von Zufallsoperationen innerhalb vorgegebener Grenzen - unendliche viele Varianten synthetisieren können.

In der Lexikon-Sonate laufen immer mehrere Strukturgeneratoren parallel, lösen sich ab und verschwinden wieder, um neuen Modellen Platz zu machen. Dabei durchdringen sie sich und bilden übergeordnete Meta-Strukturen, die vieldeutig und gerichtet zugleich erscheinen. Und wie in einem Lexikon verweisen die unzähligen "Artikel" aufeinander, damit einen musikalischen Hypertext bildend, in dem sich der Hörer verlieren und sich selbst begegnen kann.

Mit der Lexikon-Sonate habe ich ein radikales Beispiel für das "Offene Kunstwerk" vorgeführt, daß gänzlich auf das verzichtet, was ein Werk im emphatischen Sinne charakterisiert: textuelle Geschlossenheit und damit Notation. Gleichwohl lassen sich gänzlich andere "Operativprogramme" (Eco) denken und erfinden, in denen die unerschöpfliche und reiche Dialektik von WERK und PROZESS einen fruchtbaren Niederschlag findet. Es liegt nun an den Komponisten selbst, diese Möglichkeiten ästhetisch einzulösen.

© 1996 by Karlheinz Essl / positionen


Anmerkungen

[1] Anton Webern, Brief an Willi Reich vom 24.8.1941; in: Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. von Willi Reich (Wien 1960), S. 69

[2] John Cage, Composition as Process (1958); in: ders., Silence (London 1978), S. 18 ff.

[3] Theodor W. Adorno, Anton von Webern (1959); in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 16, (Frankfurt/Main 1978), S. 122.

[4] György Ligeti, Form (1966); in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, hrsg. von Ernst Thomas, Bd. X: "Form in der Neuen Musik", (Mainz 1966), S. 28.

[5] cf. Gottfried Michael Koenig, Aleatorische und serielle Verfahrensweisen in der Elektronischen Musik (1965); in: Gottfried Michael Koenig, Ästhetische Praxis, hrsg. von Stefan Fricke und Wolf Frobenius, Bd. 2 (Saarbrücken 1992), S. 300 ff.

[6] cf. Karlheinz Essl, Kompositorische Konsequenzen des Radikalen Konstruktivismus (1992); in: Positionen, hrsg. von Gisela Nauck, Bd. 11 - "Mind Behind" (Berlin 1992), S. 2-4.

[7] Ligeti, Form, a.a.O, S. 33.

[8] Umberto Eco, Das Offene Kunstwerk (1962), dt. von Günter Memmert (Frankfurt/Main 1577), S. 57.

[9] cf. Gilles Deleuze und Félix Guattari, Mille plateaux (Paris 1980).


in: Positionen. Beiträge zur neuen Musik, hrsg. von Gisela Nauck, No. 26 "Interpretation" (Berlin 1996), S. 56-59. - ISSN: 0941-4711.



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Updated: 13 Aug 2021

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