Attentat von Wien: Die Tötung Unschuldiger ist ein Anschlag auf Gott

Attentate islamistischer Terroristen bedrohen die westliche Gesellschaft dort, wo sie am verletzlichsten ist: am Grundsatz der Freiheit. Das fordert auch die in Europa lebenden Muslime heraus.

Jan-Heiner Tück
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Nach der Bluttat bleibt die Bedrohung. Und die Angst: Bundeskanzler Sebastian Kurz legt einen Kranz für die Opfer des Attentats von Wien nieder.

Nach der Bluttat bleibt die Bedrohung. Und die Angst: Bundeskanzler Sebastian Kurz legt einen Kranz für die Opfer des Attentats von Wien nieder.

Radovan Stoklasa / Reuters

Nach Paris und Nizza hat es nun auch Wien erreicht. Am letzten Abend vor dem Lockdown wollten die Menschen bei mildem Wetter noch einmal durch die Stadt flanieren. Cafés und Restaurants sind gut besucht, die Stimmung ist entspannt. Da hallen plötzlich Schüsse durch die Luft. Die Attentate beginnen in der Nähe der Seitenstettengasse, wo sich die Synagoge und der Sitz der jüdischen Kultusgemeinde befindet, dann wird an sechs weiteren Stellen der Innenstadt geschossen.

Unschuldige Zivilisten auf Plätzen und in Lokalen sind das Ziel, als wollten die Attentäter mit dem westlichen Lebensstil abrechnen. Menschen fliehen in Häuser und Hotels, es kommt zu panikartigen Szenen. Nach wenigen Minuten kann die Polizei einen Täter neutralisieren. In den frühen Morgenstunden wird seine Wohnung durchsucht. Die Ermittlungen zeigen, dass er ins Milieu des IS gehört.

Die Ideologie des Islamischen Staates ist extrem. Sie propagiert eine archaische Theologie der Gewalt. Sterben für Gott und Töten für Gott gehen darin eine unheilige Allianz ein. Das Versprechen, sich selbst ins Paradies bomben zu können, gehört dazu. Die scharfe Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen ist das semantische Dynamit, das den militanten Jihadismus so gefährlich macht.

Die Sprache der Gewalt

Die Stunde des Schocks und der Trauer ist kein Anlass, dem Fundamentalismus der Attentäter nun eine fundamentalistische Kritik am Islam folgen zu lassen. Bundeskanzler Kurz hat sich entsprechend besonnen geäussert, der Feind sei weder eine Bevölkerungsgruppe, noch seien es Mitglieder einer Religionsgemeinschaft. «Unser Feind sind der Extremismus und die Terroristen. Es ist keine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen, sondern ein Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei.»

In der Tat wäre es völlig verfehlt, nun einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen zu schüren. Die allermeisten Muslime sind friedliche Mitbürger. Gerade Österreich kennt seit 1912 ein Islamgesetz, das zur Integration von Muslimen beigetragen hat. Dennoch stellen sich Fragen. Die wichtigste ist die, wie der Islam selbst vom Koran und von anderen normativen Quellen her solche Terrorakte im Namen Allahs theologisch unzweideutig verurteilen kann. Die Beteuerung, dass der Islam eine Religion der Barmherzigkeit sei, ist wichtig, reicht hier aber kaum aus. Manche Suren im Koran sprechen eine Sprache der Gewalt, die historisch kontextualisiert und deutend entschärft werden muss.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich hat mittlerweile ihre Fassungslosigkeit über den Terror bekundet. Das ist gut. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn islamische Autoritäten noch einmal klarstellen würden: Die Tötung Unschuldiger ist ein Verbrechen. Suizid ist vom Koran her verboten. Mord im Namen Gottes ist kein Gottesdienst, sondern Blasphemie. Selbstmordattentäter sind keine Märtyrer, sondern Terroristen. Für ihre Operationen kann ihnen weder Bewunderung im Diesseits noch paradiesischer Lohn im Jenseits in Aussicht gestellt werden.

Aus Tätern keine Opfer machen

Schon die Stürmung einer Kirche in Wien Favoriten am Donnerstag durch dreissig junge Männer, die «Allahu akbar» gerufen haben, ist ein religionspolitisch brisanter Vorgang gewesen. Muslime, die spontan ihren Protest artikulierten und dankenswerterweise ihre Solidarität mit der Kirche bekundeten, haben das klarer erkannt als manche Kommentatoren.

Die wohlmeinende Erklärung, Ausgrenzungserfahrungen hätten den Hass der jungen Männer provoziert, macht aus den Tätern allzu schnell Opfer, als sei allein die mangelnde Integrationsbereitschaft der Gesellschaft schuld. Dabei zeigen Studien, dass gut ein Drittel der in Österreich lebenden Muslime eine grundsätzliche Integrationsunwilligkeit an den Tag legt. Das begünstigt die Ausbildung von Parallelgesellschaften mit gefährlichen Eigendynamiken.

Nicht nur der Import eines muslimischen Antisemitismus, sondern auch der eines Antichristianismus ist religionspolitisch ein Problem. Die guten Verbindungen, die zwischen den Kirchen und der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich bestehen, sollten über freundliche Dialoge nun auch die unbequemen Fragen angehen. Dazu zählen eben nicht nur gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber dem Islam.

Jan-Heiner Tück ist Professor am Institut für Systematische Theologie der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien.